Jens, der Hexer!

Gute nachbarliche Beziehungen zu pflegen kann in der Ukraine schon etwas mühsam sein. Aber auch amüsant. Eine kleine Anekdote aus unserem Leben mit den Nachbarn. Ich hatte diese Geschichte schon letztes Jahr angefangen zu schreiben, aber noch zurückgehalten. Bis gestern etwas passierte, was dann doch sehr komisch aussah. Aber ich muss etwas ausholen, deshalb der Reihe nach:

 Als Fremder und gar als Ausländer ist natürlich immer ein bisschen Zurückhaltung angebracht, dessen bin ich mir natürlich sehr bewusst und verkneife mir so manchen Kommentar. Einmal war mir dann aber doch schon der Kragen geplatzt, als die Nachbarin mitten im Sommer ihr wöchentliches Feuerchen machte, den Hausmüll verbrannte und da ziemlich viel Plastik dabei war. Und die kohlschwarzen, stinkenden  Rauchschwaden direkt zu uns zogen. Und das, wo doch die gut organisierte Müllabfuhr keine 5 Euro im Jahr kostet, was für die finanzielle Situation unserer Nachbarn garantiert kein Problem wäre! Zum Glück habe ich auf Deutsch geschimpft und sie hat es nicht verstanden, konnte nur ahnen, was ich wollte. Meine Frau hat das dann klären können. Naja, zumindest zur Hälfte. Die Nachbarin hat nun die Feuerstelle an einem anderen Platz eingerichtet…

Und ich kann natürlich verstehen, dass manche Nachbarin vielleicht auch ein wenig neidisch ist. Kam doch vor fast acht  Jahren ein großer Deutscher hier hereingeplatzt. Ein Handwerker, der nicht säuft, der das angefangene Haus fertig baute, der mit seiner Frau Hand in Hand einkaufen geht, die Taschen trägt und der auch noch in Haus und Garten fast jeden Tag hämmert, bohrt, klopft und  sogar ab und zu den Müll raus schafft. Und erst recht schockierend, der auch selbst in der Küche steht und ganz gut kocht!

All das sind Eigenschaften, die zumindest bei den Männern auf dem Dorf nicht oft anzutreffen sind,  die haben andere Prioritäten. Dabei sind unsere Nachbarn  recht einfache Leute und eigentlich auch ganz nett. Anfangs haben wir uns auch gegenseitig zu den Geburtstagen eingeladen. Und die Feiern waren typisch Ukrainisch, da fehlte es an nichts auf dem Teller und in den Gläsern. Bis ich einmal dort  war, auf der Eckbank saß und sah, wie die Frau den Kühlschrank öffnete. Ich bin ja eigentlich hart im nehmen, aber es tut mir leid, das so zu sagen: so einen schmutzigen Kühlschrank mit schwarzem Schimmel an den Türgummis habe ich wirklich noch nicht gesehen. Und als die Nachbarin mich bat, kurz von der Eckbank aufzustehen, weil unter dem Sitz der Brotvorrat lagerte,  habe ich mich recht schnell verabschiedet und seitdem nichts mehr dort gegessen.

Natürlich halten sich unsere Nachbarn auch Tiere. Bis 2014 waren es vorwiegend Schweine. Die Bedingungen, unter denen sie Tiere halten sind, nun, nennen wir es mal »rustikal«. Mehrmals war meine Frau als Agraringenieurin zu Hilfe gerufen worden, weil ein Schwein krank waren. Und 2014 ist ihnen eines auch gestorben. Das ist dann natürlich ein schmerzlicher Verlust. Übrigens, darum haben wir selbst keine Schweine, obwohl die Voraussetzungen da wären. Denn selbst bei sauberer Haltung kann immer etwas passieren. Ich begnüge mich mit Kaninchen, Enten, Gänsen, Hühnern. Wenn da eines erkrankt und stirbt, ist der Verlust eben nicht ganz so groß. Daran hat sich nun auch unser Nachbar ein Beispiel genommen.

Das als Erklärung, kommen wir zur eigentlichen Geschichte. Die begann 2013, als ich unser Heizhaus baute und seitdem Gazprom den »Effenberg« zeigen kann. Im Jahr darauf eiferte mir der Nachbar nach. Er ließ sich hier im Dorf von »Experten« einen Kessel zusammenschweißen und mit einer selbstgebauten Computersteuerung ausstatten  – zu einem Preis, mindestens dreimal so teuer wie mein slowakischer Allesbrenner aus Guss. Aber man will ja besser sein. Der »Spezialist« für Kessel und Steuerung wurde dann auch im Winter ein neuer Stammgast des Nachbarn. Und wenn er da war, hörten wir so manches Streitgespräch. Und um die Heizung baute der Nachbar aus allem, was so im Hof herumlag, vorwiegend Asbestplatten und Holz, sein „Heizhaus“. Das brannte dann im Winter 2015 vollkommen ab. Dass nicht mehr abbrannte und sie überhaupt noch leben, haben sie einzig uns zu verdanken, die wir immer recht spät zu Bett gehen. Wir haben das Feuer nachts gegen 1:00 Uhr rechtzeitig entdeckt, als wir selbst auf dem Weg in die Federn waren. Wir haben die Feuerwehr gerufen, die Nachbarn geweckt, mit Gartenschlauch und Eimern das Schlimmste – einen Übergriff des Feuers auf das Wohnhaus – verhindert.  Das Heizhaus haben sie übrigens wieder aufgebaut, und trotz meinem Tipp wie vorher aus denselben Materialien…

Im Sommer 2015 hatten wir viele Gänse, stattliche Viehcher, gutes Fleisch, leckere Gänsebraten. Im darauffolgenden Sommer 2016 hatten sie auch welche. Bis ihr neuer Hund (von der Straße aufgelesen) 18 Stück killte. Danach war der Hund wieder verschwunden…

Währenddessen hatten wir im selben Jahr viele Enten, die ohne Verluste gut heranwuchsen und uns den Winter kulinarisch verkürzten. Genau! Ihr ratet richtig, 2017 hatten sie sich auch Enten angeschafft. Und wieder liegt an einer langen Kette ein Köter von der Straße, der einen Kanten Brot und den so schon dünnen Rest-Borschtsch mit Wasser angereichert zu futtern bekommt. Und was tat der Hund? Schon zweimal holte er sich im Sommer eine Handvoll der jungen Enten und auch Hühner als Nachspeise. Ich habe eben nachgesehen, der Hund ist sogar noch da…

Und jetzt komme ich ins Spiel. Nach der Kartoffelernte im August war mein Anhänger schmutzig, einiges an Erde lag darin. Vor der nächsten Tour bin ich vor das Tor gefahren und habe diesen gründlich gesäubert. Das kleine Häuflein Erde habe ich herausgekehrt und am Straßenrand verteilt, genau an der Grenze zu unserem Nachbarn, vielleicht – aber ungewollt, ich schwörs! – doch etwas mehr auf des Nachbars Seite. Ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht, habe ja nichts schmutziger gemacht als es eh schon war. Ein gepflegter Golfrasen ist das ja nun wirklich nicht (siehe Bild).

Zwei Tage später hörte ich ein kurzes Streitgespräch zwischen der Nachbarin und meiner Frau.
Nachbarin:  „Kuuumaaa?! Hast Du mir die Erde vor das Grundstück geworfen?“
Meine Frau:  „Kuma! Das war ich nicht, wie kommst Du darauf!“

Und die Woche darauf hatte die Nachbarin Besuch. Die » Гадалка / Hadalka«, die Wahrsagerin / schwarze Magierin des Dorfes war da! Mit Kerzen und Sprüche murmelnd rannte sie auf dem Grundstück kreuz und quer herum. Meine Frau hat das beobachtet, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Und so ein Besuch ist ja nicht umsonst, diese speziellen Damen lassen sich ihren Hokuspokus richtig vergolden. Das Haus dieser »Hadalka« kann sich selbst in noblen, deutschen Vororten sehen lassen.

Und etwas später erhielten wir die Aufklärung. Im Gespräch mit dem Sohn unserer Nachbarin meinte dieser auf die Frage meiner Frau, was die Hadalka denn wollte: „Ach, Tante Lyudmyla, bei uns ist es wie verhext, nichts klappt mehr. Da will uns jemand etwas böses. Erst ist das Schwein gestorben. Dann ist das Heizhaus abgebrannt, danach das Malheur mit den Gänsen, dieses Jahr mit den Enten und Hühnern. Uns will garantiert  jemand verhexen und stell Dir vor, als Krönung schüttete dieser Jemand uns noch ein Häuflein Erde vor unser Grundstück! Was für ein Unglück!“

Soso, also ich bin an der Misere der Nachbarn schuld! Böööser Jens!
Aber ganz ehrlich, das ist eine der weniger guten Eigenschaften, die ich schon oft bei den Mitmenschen hier bemerkte, nicht nur bei den abergläubigen Weibern im Dorf. Zuerst wird bei anderen die Schuld gesucht und wenn man niemanden findet, ist es eben »böser Zauber«.

Wie ich Eingangs schrieb, habe ich diese Zeilen lange zurückgehalten. Bis gestern noch etwas passierte: Sehe ich doch die Nachbarin mitten auf der Straße vor ihrem Tor ein kleines Feuerchen anzünden, nur etwas Papier und kleine Zweige, kein Müll! Und dazu machte sie auch noch so komische Gesten und murmelte etwas in ihren Schal – ich zweifelte schon an ihrem Verstand. Meine Frau fand das jedoch ganz interessant. So etwas am Vortag des alten Silvester (nach dem orthodoxen Kalender) muss einen Grund haben. Sie kennt nur nicht alle dieser »geheimen Bräuche«. Nun, wenn das so ist? Dann wünsche ich unserer Nachbarin für 2018 mehr Glück! Vielleicht füttert sie dann den Hund besser und macht auch regelmäßig bei den Tieren sauber? Dann wirkt es garantiert wie ein Wunder! Wir feiern derweil heute noch einmal Silvester.


 

Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist deaktiviert.