Geschichte des Gasimports aus dem Osten

Bis Ausbruch des Krieges am 24.02.2022 war es eine Selbstverständlichkeit, dass Deutschland und viele andere europäische Staaten mit russischem Gas versorgt wurden. Die Pipelines gab es ja schon seit Jahrzehnten, niemand interessiert es heute, wie es dazu kam und wie alles anfing. Und doch wäre ein genauer Blick darauf in der heutigen Zeit mehr als notwendig. Denn russisches Gas aus Sibirien gibt es erst seit der Entdeckung der Vorkommen in Urengoi Ende 1966. Bis dahin waren es die Gasfelder der Westukraine und ein riesiges Gasfeld bei Charkiw, welche das Land mit Gas versorgten und mit welchem man zum Exportgiganten aufstieg.

Kurzer Blick in die Geschichte

Die Gasindustrie der Ukraine reicht bis in die Zeit Österreich-Ungarns auf dem Gebiet der heutigen Regionen Iwano-Frankiwsk und Lemberg zurück. Nach dem ersten Weltkrieg entdeckte man das Gasfeld Dashava in der Lemberger Region. Man versorgte damit Lemberg, Drohobytsch und Stryj. Während des Zweiten Weltkriegs begannen die Deutschen mit dem Bau einer Gaspipeline von Dashava durch Polen nach Berlin. Diese wurde nach dem Krieg abgebaut und nach Kyjiw (1948) verlegt. Die Pipeline wurde dann verlängert und versorgte ab 1951 auch Moskau.

Im Jahr 1947 wurde das Shebelinsky-Gasfeld in der Region Charkiw entdeckt und 1950 eröffnet, das 6 Jahre später mit der Gasförderung begann. Das Gas aus diesem Feld wurde nach Charkiw, Dnipro, Saporischschja, Belgorod und im Jahr 1960 auch nach Kiew geliefert. Gas aus der Westukraine kam über die Dashava-Minsk-Pipeline nach Belarus, von dort aus gelangte das ukrainische Gas nach Litauen (Vilnius und Klaipeda), Lettland (Riga) und Leningrad.

Das Shebelinsky-Gasfeld belieferte fast die gesamte Industrie der Ukraine und teilweise Russlands!

Mit den Vorkommen in der Westukraine hatte man genug Kapazitäten und begann mit dem Export. Zuerst 1967 in die Tschechoslowakei und 1968 auch nach Österreich.

Vom Gasexport zum Expertenexport

Mit der Entdeckung der riesigen Gasvorkommen hinter dem Ural musste das ja irgendwie erschlossen werden. Im Iwano-Frankiwsker Institut für Öl und Gas lehrte man alles, was man dazu braucht. Dazu erzählte Roman Yaremiychuk, einer der führenden ukrainischen Experten auf dem Gebiet der Öl- und Gasförderung in einem Interview mit der BBC im Jahre 2012:

Von Ende der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre reisten wirklich viele Bohr- und Bergbauspezialisten nach Sibirien. Und sie fuhren mit großer Freude, denn es war eine Gelegenheit, gutes Geld zu verdienen und auf der Karriereleiter aufzusteigen. Und egal, wohin es ging – Nischniwartiwsk, Surgut, Urengoi – unsere Absolventen waren auf Schritt und Tritt dabei. Damit Sie das Ausmaß verstehen, sage ich Ihnen, dass damals allein von Iwano-Frankiwsk aus täglich 18 Flugzeuge nach Westsibirien abgeflogen sind. Kannst Du Dir vorstellen? Und jedes Flugzeug hatte 100-120 Spezialisten an Bord.

https://www.bbc.com/ukrainian/business/2012/04/120410_yaremiychuk_gas_int_az

Es waren also zum größten Teil Ukrainer, die Russland zu ihrem Reichtum verhalfen. Wie Hohn klingen heute die Worte Breschnews

»Unser Land schuldet jenen Gas- und Ölarbeitern großen Dank«, schrieb der Generalsekretär Leonid Breschnew dieser Tage in seinem jährlichen Wirtschaftsbericht für das Moskauer Zentralkomitee, »die mit heroischen Anstrengungen die Vorräte Westsibiriens erschlossen haben.«
wie es in einem Spiegelartikel von 1981 hieß.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/die-gas-scheichs-von-sibirien-a-320a8942-0002-0001-0000-000014349172

Und Deutschland?

Da war es die Regierung unter dem Sozi Willi Brandt, der die Büchse der Pandora öffnete. Mit einem wohl neidischem Blick auf Österreich schloss man einen Milliardenschweren Vertrag mit Moskau und lieferte Rohre für Gas. Und so begann die Abhängigkeit von russischem Gas. Immer schön unter dem Deckmantel »Wandel durch Handel«…

Übrigens, als 1973 das erste Gas nach Deutschland kam, so war es ebenfalls ukrainisches Gas, bis dann die Pipelines bis Sibirien fertiggestellt waren.

Und wieder lügen die Russen

Der oben erwähnte Experte Roman Yaremiychuk erzählte auch 2012 in dem Interview mit der BBC, dass mindestens die Hälfte der Gazprom-Spezialisten ihre Ausbildung in Iwano-Frankiwsk absolvierten. Das haben die Russen wohl vergessen?

Noch dreister sind sie bei Gazprom mit der geschichtlichen Darstellung. Als Putin 2018 Wien besuchte, was zeitlich mit dem 50. Jahrestag der Unterzeichnung des ersten Gaslieferabkommens der Sowjetunion nach Österreich zusammenfiel, schrieb man über die Gaslieferungen aus Westsibirien:

„Vor 50 Jahren, am 1. Juni 1968, unterzeichneten der sowjetische Verein Sojusnefteexport und die Österreichische Mineralölverwaltung (ÖMV) einen Vertrag über die Lieferung von Erdgas aus der UdSSR nach Österreich. Gas aus Westsibirien kam innerhalb von drei Monaten am Punkt Baumgarten an.“

https://texty.org.ua/articles/85745/Jak_ukrajinskyj_gaz_zrobyv_SRSR_jenergetychnoju_superderzhavoju-85745/

Zum Glück waren die Österreicher wenigstens etwas genauer und in ihrem Jubiläumsvideo wird russisches Gas erst 1974 erwähnt.

Die Zukunft

Im BBC-Interview mit Roman Yaremiychuk ist dieser sehr skeptisch und frustriert, was die Ukraine und ihr eigenes Gas betrifft. In den 60er und 70er Jahren brach die ukrainische Gasförderung einen Rekord nach dem anderen. Im Jahr 1973 erreichte die Produktion einen Rekordwert von 68 Milliarden Kubikmetern, doch nach und nach wurden die Vorkommen erschöpft. Heute liegt die Produktion weiterhin bei 20 Milliarden Kubikmetern.

Es wurden aber schon damals weitere Gasfelder entdeckt, jedoch nicht erschlossen, da man Sibirien den Vorrang gab. Die Ukraine ist jetzt dabei, diese Felder in der Westukraine zu erschließen und dabei recht erfolgreich. Das Potential ist also da, unabhängig, ja, auch zum Exporteur zu werden, wenn… ja, wenn…
Hier noch ein Tipp, was aktuell die ukrainischen Gasreserven betrifft: https://en.wikipedia.org/wiki/Natural_gas_in_Ukraine#Regions

Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im Partnerblog auf piske.de


 

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