Wie wurde man Millionär in stalinistischen Zeiten? Teil 1
„Millionäre gibt es nur im bösen Kapitalismus!“ „Ach, was waren das doch für schöne Zeiten unter Stalin, da gab es keine Korruption!“ Noch heute hört man solche Sätze von unbelehrbaren Watnikis, von denen, die sich nach einem Stalin und dem Märchen vom Kommunismus zurück sehnen. Aber gerade das stalinistische System war eine Goldgrube für jeden Pfiffikus, der das System durchschaute. Lest heute die irre Geschichte des Mykola Pavlenko, natürlich eines Ukrainers, der als »der größte Betrüger der stalinistischen Ära« in die Geschichte einging.
Mykola wurde 1912 im Dorf Novi Sokoly, ca. 100km nordwestlich von Kyjiw geboren. Er war das siebte Kind in einer wohlhabenden Müllerfamilie, die mit Beginn des Kollektivierungsprozesses ihre ganze Habe verlor und im Zuge der „Dekulakisierung“ für immer nach Sibirien verbannt wurde. Mykola entkam der Deportation. Er träumte schon immer davon, Baumeister zu werden. Straßen zu bauen, das war sein größter Wunsch. Und jetzt, mit 16 Jahren begann seine „kriminelle“ Laufbahn. Er fälschte Ausweispapiere, gab sich ein zusätzliches Alter von 4 Jahren und einen normalen, sozialen Hintergrund, und schrieb sich am Kyjiwer Institut für Bauingenieurswesen ein. In anderen Quellen heißt es, er studierte am Minsker Polytechnikum.
Er war ein sehr guter Student und glaubte, damit durchzukommen und in der Lage sei, seinen Abschluss zu machen. Aber das Regime, was immer auf der Suche nach „Feinden des Volkes“ war, untersuchte seine Unterlagen. Mykola konnte jedoch rechtzeitig verschwinden. Er kam seinem Traum etwas näher und arbeitete im Straßenbau. 1935 ereilte ihn jedoch das Schicksal und er wurde verhaftet. Der einzige Ausweg, der ihm blieb, war eine Kooperation mit dem NKWD als Spitzel. Seine Führer beim NKWD waren mit ihm zufrieden, er wurde Bauleiter, machte Karriere und brachte es bis zum Leiter des Minsker Baubezirks. Sein Baubezirk arbeitete schnell, effizient und vor allem wirtschaftlich. Mykola hatte auch ein unternehmerisches Talent und dachte, er könne so weiter ruhig leben. Aber dann begann der 2. Weltkrieg.
Mykola hatte keine Lust, für das System zu kämpfen und zu sterben, welches ihm sein Zuhause, seine Familie und seine Zukunft genommen hatte und das ihm nur die Chance bieten konnte, unterdrückt zu werden und wie Vieh oder Kanonenfutter für das Imperium zu sterben. Mit einem LKW voll gestohlener Fleischkonserven und gefälschten Papieren desertierte er von der Front. In Kalinin, die damals Frontstadt war, traf er Freunde aus der Vorkriegszeit, die ebenfalls desertiert waren. In der Stadt existierte ein ganzes Netzwerk von Deserteuren, mit Kontakten und Finanzierungsquellen. Ihre Zahl stieg immer mehr, je weiter die Deutschen vorrückten und die Sowjets in die Flucht geschlagen wurden. Die Männer hatten alles, was sie brauchten, um zu überleben. Hier im Untergrund lernte er den ukrainischen Landsmann Ludwig Rudnichenko kennen. Dieser hatte ein einzigartiges Talent, aus Stiefelsohlen täuschend echte Stempel zu schnitzen (siehe Bild rechts). Das brachte Mykola Pavlenko auf eine Idee. Er schlug den verblüfften Kameraden vor, öffentlich aufzutreten. Die Front war ein einziges Chaos, niemand wusste, welche Einheit wo war oder welche es überhaupt gibt.
Die Gruppe erstellte sich Dokumente, die sie zum „Military Construction District №5 (MCD-5)“ machten, Mykola war der Befehlshaber und „Militäringenieur dritten Ranges“, das entsprach dem Rang eines Majors. Rudnichenko kümmerte sich um den Schreibkram und ein weiterer Kamerad, Juri Konstantinow, wurde mit der Sicherheit betraut. Mit Fleischkonserven und Kondensmilch als Bestechungsgeld besuchten sie eine Druckerei und ließen sich die nötigen Dokumente drucken und waren nun eine „legitime Organisation“. Ja, sie konnten mit den Dokumenten sogar ein Konto bei der Staatsbank eröffnen und Uniformen aus den Bekleidungsdepots erhalten.
Sie sammelten die LKWs, Bagger und Bulldozer ein, die während des Rückzugs am Straßenrand zurückgelassen wurden, „überredeten“ örtliche Militärkommissare, dass ihnen Soldaten unterstellt wurden und machten sich mit 40 Mann an die Arbeit. Mykola Pavlenko schloss Verträge für Straßenbau und andere Bauarbeiten mit verschiedenen Organisationen. Sie arbeiteten schnell und effizient, verdienten gutes Geld, zahlten pünktlich Löhne und teilten die Gewinne zwischen den „Aktionären“ auf. In der Folge führte Pavlenko Bargeldprämien ein, und die Soldaten, die an den Status eines einfachen Arbeiters und die miserable Bezahlung der Rationen gewöhnt waren, reagierten mit einer „Explosion der Begeisterung“ am Arbeitsplatz.
Das „Geschäft“ wuchs schnell: Die Qualität von MCD-5 stach im Vergleich zu anderen Arbeiten stark hervor. Alles wurde ernsthaft eingerichtet: Es gab ein „Offizierskorps“, das Pavlenko persönlich treu war, einen Spionageabwehrdienst unter dem Kommando von Juri Konstantinow, und vor allem ahnten die Soldaten nicht einmal, dass sie in einer nicht existierenden Einheit dienten!
Das ging ein Jahr lang gut, bis sich die Front immer weiter nach Westen bewegte. Pavlenko hatte einen guten Ruf und erhebliche Ressourcen und sie fanden ein neues Zuhause im 12. Aviation Base District. Und Mykola konnte die ganze Zeit das machen, was er am meisten liebte: Straßen bauen. Zufriedene Kunden empfahlen ihn weiter, das Geschäft wuchs. Als sie die sowjetische Grenze erreichten, hatte die Baueinheit von Pavlenko zweihundert Angestellte und eine brillante Erfolgsbilanz, während der Gewinn der "Aktionäre" eine Million Rubel betrug. Wie hat es Pavlenko geschafft, dies unter Stalins System der totalen Kontrolle und Rechenschaftspflicht durchzuziehen? Selbst inmitten der Wirren in Kriegszeiten? Entweder hatte er fantastisches Glück oder seine Kontakte zum NKWD waren noch aktiv. Alles was er tun musste war gut zu arbeiten und keine Probleme zu bekommen. Und das ist genau das, was er getan hat. Er bereicherte sich und seine unsichtbaren Gönner.
Aber das wahre Fest für die "geheimen Kapitalisten" des stalinistischen Regimes begann in Europa. Offiziell bauten sie Brücken, Straßen und Flugplätze und erhielten dafür nur Dankesworte von den Kommandanten. Pavlenko baute jedoch nicht nur Dinge im Gefolge sowjetischer Stürmereinheiten, sondern verdiente auch auf andere Weise Geld. Seine Männer betraten die leeren polnischen und deutschen Städte und sammelten Kriegstrophäen – sowohl verlassene Ausrüstung als auch Eigentum der „befreiten“ Bevölkerung: Autos, Traktoren, Fahrräder, Teppiche, Nähmaschinen, Grammophone, Akkordeons, Vieh, Futter, Baumaterialien, Gold, Juwelen, Kunstwerke,… Als sie nach Berlin kamen, überstieg ihr Einkommen diese dürftige erste Million um ein Vielfaches. Und in der Hauptstadt knackten sie den Jackpot. Dank Bestechungsgeldern wurde seine Truppe angewiesen, erbeutete Ausrüstung in die Heimat zu schaffen. Er verkaufte einen Teil der „Ernte“ und organisierte einen ganzen Zug mit 30 Wagons, um den Rest nach Hause zu bringen. Die „Aktionäre“ verdienten weitere 3 Millionen Rubel.
Zurück in Kalinin löste Pavlenko die Einheit auf. Das Risiko wurde zu groß. Personal, das keine Ahnung vom wahren Status der Organisation hatte, wurde zuerst demobilisiert. Bei einer Zeremonie überreichte Pavlenko seinen Männern Befehle und Medaillen (insgesamt 230), die er dank eines gefälschten Berichts und eines großen Bestechungsgeldes erhielt, sowie Geldprämien für ihre starke Arbeitsmoral: 7-12.000 Rubel für Soldaten, 15-25 Tausend für Offiziere. Pavlenko hat sich auch nicht vergessen: Er nahm sich Orden der ersten und zweiten Klasse des Vaterländischen Krieges, den Orden des Roten Banners, den Orden des Roten Sterns und 90.000 Rubel.
Nach dem Krieg übernahm er die Leitung eines zivilen Straßenbauunternehmens in Kalinin – Plandorstroy. Die Zukunft schien gesichert. Er hatte eine Frau und eine kleine Tochter und lebte im Luxus. Von der Hungersnot in der Ukraine von 1946-1947 bekam er nichts mit. Bis 1947 eine erneute Hexenjagd Stalins auf Menschen begann. Sein Notgroschen verlor nach der Währungsreform an Wert und der Boden in Kalinin wurde ihm zu heiß. Er stahl das ganze Geld aus den Plandorstroy-Kassen (339.326 Rubel) und zog mit seiner Frau und seiner Tochter nach Süden.
Ende Teil 1 zu Teil 2
Quellennachweis: Ukrainian Week und Feldgrau.info
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