
Waffenlieferungen kontra Waffenruhe und Verhandlungen
Von sogenannten »Pazifisten«, »Philosophen« und »Intellektuellen«, von diversen Politikern und Schreiberlingen hört man immer wieder Forderungen, die Waffenlieferungen zu stoppen und eine diplomatische Lösung zu suchen. Seltsam ist, dass sich diese Appelle immer nur an die Ukraine richten. Ich habe noch nicht einen einzigen Aufruf der Pazifisten an den Iran, an China oder Nordkorea gehört, die militärische Hilfe Russlands einzustellen. Es ist Paradox, dass sich die große Mehrzahl der Aufrufe an den überfallenen Staat, an die Ukraine richten. Nein, das ist nicht Paradox, das ist eine moralische Bankrotterklärung. Ich erlebe seit vielen Jahren, wie über die Ukraine und Russland berichtet und gesprochen wird; die Länder selbst kennen die wenigsten. Während dabei für Russland eine unverständliche Affinität zu sehen ist, herrscht immer (teils zu Recht, durch russische Propaganda jedoch ziemlich viel zu Unrecht) Misstrauen und eine Portion Skepsis beim Thema Ukraine. Ich wünschte einfach, dass man dieselben Maßstäbe auch für Russland anlegen würde. Aber zurück zum Thema.
Man stelle sich einfach mal vor, Putin, der ja nach eigener Aussage »Langeweile hatte und ein bisschen Aktion wollte«, würde auf einmal die Luftangriffe auf die Ukraine einstellen, und an den Fronten einen einseitigen Waffenstillstand ausrufen. Egal, unter welchem Vorwand, sei es, dass ihnen die Luft ausgeht, sei es, dass die Drohungen Trumps wirken (garantiert nicht, weil Scholz ihn anruft).
Was würde passieren? Im Westen würde man Putin feiern, seine Einsicht loben, und die Ukraine dazu drängen, dem zuzustimmen. Dass die Russen bereit wären, erobertes Gebiet wieder abzutreten, ist eher unwahrscheinlich, vielleicht ein wenig im Zuge einer Frontbegradigung und im Gegenzug dafür, dass sich die Ukraine aus Kursk zurückzieht. Wer denkt, dass er sich jetzt durch Verhandlungen veranlasst sieht, freiwillig aus der ganzen Ukraine zurückzuziehen, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.
Aber was dann? Was würde das für die Ukraine bedeuten?
Kommen internationale Truppen, um diese Grenze zu sichern? Präsident Selenskyj bezifferte dieses Kontingent ganz realistisch mit 200 000 Soldaten! Wer soll die stellen, wer soll die bezahlen? Und für wie lange? Gäbe es Sicherheitsabkommen? Und wenn ja, kann die Ukraine darauf vertrauen? Russland hat alle Abkommen mit der Ukraine gebrochen und ebenso viele internationale Verträge. Die jetzige Kremlführung hat doch jegliches Vertrauen verspielt.
Außerdem, wer von den Ukrainern würde unter solchen Bedingungen weiter in Grenznähe zu Russland leben wollen? Wer will in diese Gebiete zurückkehren? Trotz Minsker Verträge starben im Donbas tausende Menschen von 2015 bis zu Beginn der Vollinvasion. Die Ukrainer wissen genau, dass eine sichere Zukunft so nicht gewährleistet ist.
Was würde es für die restliche Welt bedeuten?
Das ist ganz einfach und schnell erklärt: Jedes Zugeständnis an Russland würde dieses nur ermutigen, es weiter zu versuchen. Ganz wichtig! Es gibt so viele Konfliktgebiete auf dieser Welt, China vs. Taiwan ist zum Beispiel ein akutes Problem, die schauen aktuell ganz genau hin, wie das in der Ukraine ausgeht. Ein fauler Kompromiss würde ein klares Signal senden, dass Aggression sich lohnt, der Westen würde als schwach und uneinig wahrgenommen werden, die globale Dominanz westlicher Demokratien wäre langfristig untergraben. Kurz: Die Büchse der Pandora wäre geöffnet!
Was würde es für Russland bedeuten?
Zuerst eine Atempause und gleichzeitig Ansporn für neue »Projekte«. Ich kann das Gerede von einer baldigen, wirtschaftlichen Katastrophe für Russland nicht mehr hören. Das prophezeite man schon für Ende 2022, dann für 2023, für 2024 und aktuell „in wenigen Monaten“. Bei all den Analysen vergisst man nur eines: Man kann nicht den eigenen Maßstab für Russland anwenden. In Deutschland hätte man bei Zinssätzen von 22% schon längst den Bundestag gestürmt.
Nie vergessen, wir reden von Russen. Wie viele von ihnen leben in Zuständen, die selbst unsere Obdachlosen ablehnen würden? Aber sie fühlen sich groß, mächtig, als überlegene Rasse. Und sie sind bereit zu leiden, sind in großer Mehrheit für den Krieg und unempfänglich für jede Art von Moral und Menschlichkeit, wenn sie nur den Hauch einer Chance sehen, diese angebliche Überlegenheit irgendwann auskosten zu können.
Alarmierend sollte auch sein, dass die russische Wirtschaft komplett auf Krieg umgestellt hat. Kürzlich sah ich mir dieses empfehlenswerte Video an.
Generalleutnant André Bodemann sagt da ab Minute 4:10 unter anderem: »Russland investiert in den Wiederaufbau der Streitkräfte und nicht nur, um das auszugleichen, was in der Ukraine verloren gegangen ist, sondern wir reden beispielsweise von der jährlichen Produktion von Panzern, etwa von 1000 bis 1500, wobei nur ein ganz geringer Teil wieder in die Ukraine in den Krieg geht und der größte Teil in Depots. Und da fragt man sich natürlich, warum ist das so...«.
Das frage ich mich auch und das sind jetzt nur Panzer! Letztes Jahr hörte ich davon, dass unabhängig vom Ukrainekrieg der Kreml eine neue Armee aufstellen will. Dazu dieser Artikel vom 26.03.2024. Und ich irrte mich sogar, es ist die Rede von zwei Armeen. Und dabei reden wir von einer Mannstärke von mindestens 100 000 Soldaten.
Hinzu kommen ~800 Kampfflugzeuge, auch aus der 4. und 5. Generation, die selten in der Ukraine eingesetzt wurden, sowie ~500 Kampfhubschrauber. Warum hält man die zurück? Warum setzt man diese in der Ukraine nicht massiv ein?
»Kyjiw in 3 Tagen« hat nicht funktioniert und man wird sich da im Kreml sehr wohl geärgert haben. Jedoch, was haben wir weiterhin gesehen? Dieser Krieg ist beispiellos, er wird immer mehr der Krieg von Maschinen, mit fernbedienten, mit autonomen und mit KI gesteuerten Waffen. Auf beiden Seiten! Angriff und entsprechende Abwehr stehen im Mittelpunkt. Für beide Seiten ist das jetzt ein riesiges Testfeld. Die Ukraine hat sich darauf eingestellt und produziert nun jährlich über eine Millionen Drohnen verschiedenster Art. Im ganzen Land gibt es Drohnenabwehr. Auch Russland hat eine eigene Produktion aufgebaut. Kurze Zwischenfrage: Wie viele Drohnen hat die Bundeswehr? Können die Armeen in Europa sich gegen hunderte anfliegende Drohnen der neuesten Generation wehren?
Fazit
Wie ich im vorherigen Artikel schon schrieb, haben die Russen langfristige Visionen. Es soll keiner glauben, dass mit einem Scheinfrieden im derzeitigen Angriffskrieg der Russen alles vorbei wäre. Friede-Freude-Eierkuchen; Piep, Piep, Piep, wir haben uns alle lieb – diese Zeiten sind vorbei. Sie könnten aber wiederkommen, dazu benötigt es jedoch einer anderen Lösung. Wie diese aussehen könnte, ja, müsste(!), dazu mache ich mir im nächsten Beitrag ein paar Gedanken.